Ukraine Abroad. Ein Fenster zur ukrainischen Kultur und Widerstandskraft. Theateraufführung: „Väter“

KOMM Kulturzentrum Düren
August-Klotz-Str. 21
52349 Düren

Dienstag, 28.01.2025
19.00 Uhr

Ukraine Abroad. Ein Fenster zur ukrainischen Kultur und Widerstandskraft.
Theateraufführung: „Väter“

Bericht: Winne Simon

Väter“ – Eine eindringliche Reflexion über Krieg, Verlust und Identität.

Das Theaterstück, inszeniert mit minimalen Mitteln und doch von überwältigender Ausdruckskraft, verhandelt die existenziellen Erschütterungen eines Menschen, der durch den Krieg in eine Welt des Verlustes, der Entwurzelung und der Identitätssuche gestoßen wird.

Zentrum des Stücks ist der Solodarsteller, Max, der in einem eindringlichen Monolog seine innere Zerrissenheit offenbart.

Die Bühne bleibt bewusst reduziert: Ein im Bühnenhintergrund platzierter transparenter Vorhang aus Laken dient als Projektionsfläche für dokumentarische Videosequenzen – Bilder von zerbombten Straßen, flüchtenden Menschen, zerschossenen Autos auf dem Treck nach Westen.

Diese visuelle Ebene verstärkt die klaustrophobische Atmosphäre eines Lebens im Ausnahmezustand.

Musikalisch wird das Geschehen von einer Klangcollage untermalt – einer Komposition aus verfremdeten Tönen und Klangfragmenten, die wie ein auditives Echo des Krieges wirken. Mal durchzogen von dumpfem Dröhnen, mal von geisterhaft verzerrten Stimmen, schafft der Sound eine fast körperlich spürbare Spannung, die den Seelenzustand des Protagonisten verdichtet.

Besonders eindrucksvoll ist der Einsatz einer Tänzerin, die mit teils ekstatischen teils expressiven langsamen Bewegungen den emotionalen Aufruhr des Darstellers verkörpert. Oft hinter der transparenten Wand nur schemenhaft sichtbar, gleicht sie einem gespenstischen Echo der Erinnerungen – ein Sinnbild für die Unfassbarkeit von Krieg und Verlust. In einer Szene verhüllt sie sich mit einem leichten Tuch, das sich mit jeder ihrer Bewegungen hebt und senkt, als sei sie mit den seelischen Erschütterungen des Protagonisten atmend verbunden.

Der Titel „Väter“ offenbart sich als mehrdimensionale Erkundung von Elternschaft, Verantwortung und generationsübergreifender Zerbrechlichkeit.

Max ist zugleich Vater einer fünfjährigen Tochter –  Vira, die in Sicherheit gebracht werden muss – und Sohn seines eigenen Vaters, der von Krankheit gezeichnet, aus Kiew in eine Stadt nahe der polnischen Grenze evakuiert wird.

Gegen Ende der Aufführung betritt dieser ebenfalls die Bühne.

Die Beziehung zu beiden bleibt schmerzlich fragmentiert: Die Tochter ist fern, die Kommunikation bruchstückhaft, reduziert auf kurze Videoaufnahmen, die über Monate hinweg eine unüberbrückbare Distanz überdecken müssen. Der Vater hingegen, einst selbst eine Stütze, wird nun zum Schutzbedürftigen.

Diese Spiegelung von Verantwortung und Verlust ist dramaturgisch raffiniert ineinander verschachtelt: Der Protagonist befindet sich buchstäblich zwischen zwei Welten – zwischen Kiew und Berlin, zwischen Vergangenheit und Gegenwart, zwischen Heimat und Exil. Das frühere ‘Hier‘ ist zum ‘Dort‘ geworden.

Eigentlich ist eine Ländergrenze, in Friedenszeiten,  nicht spürbar – zu beiden Seiten wird oft die gleiche Sprache gesprochen, ähneln sich die Gebräuche. Doch nun markieren die Grenzen unüberbrückbare Sphären.

Ein besonders eindrucksvoller Moment: Der Monolog wechselt in eine fast poetische Reflexion über Flüsse als Metaphern für die Flüchtigkeit der Erfahrung.

Zu Friedenszeiten verbrachten Vater und Tochter auf einem Boot auf dem Dnjepr unbeschwerte Tage, später finden sich beide auf der Spree in Berlin wieder, in Sicherheit ...und doch ist alles ganz geworden. Innere und auch die äußere Welt sind nicht mehr dieselben.

Das Drama setzt am 24. Februar 2022, dem Tag des Kriegsausbruchs, ein. Ein scheinbar normales Leben als Künstler, Festivalorganisator wird mit einem Schlag obsolet. Statt Kreativität bestimmt nun das Chaos den Alltag. Diese Erfahrung bleibt auch in der deutschen Übersetzung, in wunderschönen lyrischen Passagen greifbar.

Immer wieder kreist die Erzählung um das zentrale Motiv: Wo ist mein Platz in dieser neuen, von Gewalt gezeichneten Welt?

Das Stück gibt darauf keine einfache Antwort – und das macht seine Wirkung umso stärker. Die Verlorenheit des Protagonisten bleibt bestehen, seine Versuche, Ordnung in das Chaos zu bringen, wirken wie ein Ringen gegen einen übermächtigen Strom.

Kunst als Widerstand, Theater als Zeugnis einer schmerzhaften Entwurzelung.

„Väter“ ist ein Meisterwerk, das mit minimalen Mitteln eine emotionale Erschütterung entfesselt. Der eindringliche Monolog, die schattenhafte Tänzerin, die verstörende Klanglandschaft und die beunruhigend realen Kriegsbilder verschmelzen zu einer Inszenierung, die lange nachhallt.

Das Theaterstück ist nicht nur ein künstlerischer Ausdruck von Schmerz und Verlust, sondern auch eine Form des Widerstands – ein Dokument der Erinnerung und der Unausweichlichkeit, sich mit den Narben des Krieges auseinanderzusetzen.

Die Zuschauer werden zu Zeugen eines inneren Kampfes, der über das Individuelle hinausgeht und sich in das kollektive Gedächtnis einschreibt.

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